West Coast '97

Sam Helwer Gedenkfahrt

Die Frau auf dem Mammut

24jährige Amerikanerin lebt seit einem Jahr in einer Baumkrone

Julia Hill hat vergessen, wie es ist, auf festem Boden zu gehen. Und sie kann sich nur schwer erinnern, wie man sich wann und trocken fühlt. Die 24jährige kletterte am 10. Dezember vergangenen Jahres in die Krone eines fast 20 Stockwerke hohen Mammutbaums in Nordkalifornien. Dort sitzt sie noch immer, von nicht mehr als ein paar Zeltplanen umgeben, und sie will erst herunterkommen, wenn ihr Traum wahr geworden ist: die Rettung der größten und ältesten Bäume auf der Erde, der Redwoods.

Mit wenig mehr als einem Mobiltelephon und zähem Durchhaltevermögen bewaffnet, ist die zierliche junge Frau zum internationalen Aushängeschild des Streits zwischen Umweltschützern und der Holzgesellschaft "Pacific Lumber" geworden. Das Unternehmen, der größte Arbeitgeber im nordkalifornischen Bezirk Humboldt, verteidigt sein Recht, Holz in seinen Wäldern zu schlagen, gegen Angriffe von Umweltschützern. Diese werfen "Pacific Lumber" vor, mehr und mehr Waldflächen aufzukaufen und diese kahlzuschlagen.

Seit über einem Jahrzehnt blockiert die Gruppe "Earth First! " mit dem Besetzen von Bäumen die Kreissägen der Holzfäller. Normalerweise bleiben die Demonstranten für ein paar Tage und werden dann von Mitstreitern abgelöst. Julia Hill, die im Sommer vergangenen Jahres nach eigenen Angaben "auf der Suche nach Lebenssinn" in Nordkalifornien gestrandet war, schloß sich der Gruppe an. Die junge Amerikanerin hatte sich gerade von den Folgen eines beinahe tödlichen Autounfalls erholt. Bei einem routinemäßigen Protesteinsatz auf dem Baum beschloß sie zu bleiben, bis der Wald gerettet sei. Sie ging von ein paar Wochen oder Monaten aus. Weit gefehlt.

Weihnachten verbrachte sie damit, die Sterne anzuschauen und Nudeln zu essen. Ein paar Tage später brachte das Wetterphänomen EI Nino die mächtigsten Regenstürme des Jahrhunderts nach Kalifornien. "Pacific Lumber" versuchte, die junge Frau zum Aufgeben zu zwingen. "Sie fällten alle Bäume um mich herum, ein Hubschrauber kreiste ständig über meinem Kopf, und man versuchte, meine Zeltplanen wegzureißen", schilderte die junge Frau per Mobiltelephon von ihrem luftigen Domizil aus. Als die Aufmerksamkeit der Medien zu groß wurde, habe sich "Pacific Lumber" dazu entschieden, einfach abzuwarten.

Doch je länger Julia im Baum saß, desto zäher wurde sie. Sie benutzt Margarinebecher und einen Eimer als Toilette, sammelt Regenwasser, um sich die Haare zu waschen und ihren Körper mit einem Schwamm zu reinigen. Helfer auf dem Boden marschieren jeden Tag auf einem drei Kilometer langen Pfad durch rauhes Terrain, um Lebensmittel und Wasser in den Baum hinauf zu seilen.

"Big Business versteht die Kraft der Liebe nicht. Das habe ich hier oben gelernt: Wenn ich an meiner Liebe für alles Leben festhalte, hilft mir das durch jede Schwierigkeit hindurch", sagt die Demonstrantin. Sie wisse, daß manche Leute sie für naiv hielten. Aber für sie seien Holzgesellschaften, die 1000 Jahre alte Bäume einfach "umlegten", ein Symbol dafür, "wie entfernt die meisten Menschen heutzutage von der Erde sind, die sie ernährt".

Zwölf Monate im Baum haben sie sehr verändert, sagt sie. "Wenn man große Hindernisse überwindet, dann gibt einem das unglaubliche Kraft und Klarheit. Ich betrachte persönliche Schwierigkeiten nicht mehr als solche. Ich vermisse nichts mehr, nicht mal eine heiße Dusche."
                                                 (dpa)
 
  www.lunatree.org